Filmkritik: Ausgeflogen (Kinostart: 18.07.19)

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Originaltitel: Mon bébé
Gesehen: 2D, OmU, französisch, Kino

Bei mir läuft das so: Meine Phantasie ist gleich null, wenn sich aber etwas ereignet, was ich für wichtig erachte, dann stürze ich mich darauf, dreh und wende es und schau, was es hergibt! Glücklicherweise haben die Zuschauer das Gefühl, dass ich von ihrem Leben rede, je mehr ich von meinem eigenen erzähle.

Lïsa Azuelos im Presseheft „Ausgeflogen“

Mit dem erstmaligen schauen des Films „Boyhood“ vor etwa drei Jahren, wurde der fürsorglichen Mutter Lïsa Azuelos plötzlich klar, dass die gemeinsame Zeit mit ihren Kindern begrenzt ist und sie irgendwann einfach das Haus verlassen ohne zurück zu blicken. Aus diesem Grund fing sie an jeden Moment, den sie mit ihren Töchtern teilte mit ihrem IPhone zu filmen und für die Zukunft, wenn sie lernen müsse loszulassen, eine Erinnerung zu behalten. Als eine ihrer Töchter dann tatsächlich flügge wurde, kam ihr die Idee für einen neuen Film. Wie eh und je ist dieser autobiografisch geprägt und greift daher genau auf diese Erlebnisse zurück. Doch die viel größere Besonderheit ist, dass anlässlich ihrer vielen privaten Filmerei ihrer Tochter, sie sich absolut nicht mehr vorstellen konnte die Rolle anderweitig zu vergeben. Die Natürlichkeit des Films spiegelte somit eine tatsächliche Natürlichkeit wider.
Diese Mutter-Tochter Zusammenarbeit ist jedoch nicht die Erste. Bereits in „Ein Augenblick Liebe“ und „LoL Loughing Out Loud“ hat Thaïs Alessandrin unter der Regie ihrer Mutter gearbeitet und auch im Film ihrer älteren Schwester Carmen Alessandrin „Interrail“ mitgewirkt.

Der Film dreht sich genau um diese entscheidende und wegweisende Zeit, in der das Leben einer Mutter einen plötzlichen Wendepunkt nimmt. Héloïse (Sandrine Kiberlain) ist eine alleinstehende Mutter dreier Kinder sowie auch Geschäftsführerin eines kleinen gemütlichen Restaurants. Alles in ihrem Leben packt sie mit viel Liebe und Leidenschaft an und trotzdem ist und bleibt sie nur ein Mensch der ebenso wie jeder andere Fehler hat. So gerät sie in eine ziemliche Lebenskrise, als ihr Nesthäkchen als letzte Tochter das Elternhaus verlässt und sie nun auf einmal ganz allein dasteht. Deshalb versucht sie noch einmal jeden Moment der gemeinsamen Zeit zu genießen. Immer wieder erinnert sie sich an die alten Zeiten, die ihr noch gar nicht so lange her erscheinen. Eins ist sicher: ihr Leben wird sich nun grundlegend ändern. Wird sie damit auch klarkommen?

Beginnend mit einem eigentlich völlig überflüssigen Rückblick, der die Trennung des Elternpaares zeigt und welcher sich im weiteren Filmverlauf eigentlich von selbst erklärt, baut sich in kürzester Zeit eine facettenreiche, liebevolle, nicht immer harmonische Geschichte auf, die vor allem alle Mütter in ähnlicher Form einmal ähnlich durchlebt haben und durchleben werden. Doch auch jeder andere nicht ganz herzlose Mensch wird in Erinnerungen an die eigene Zeit des Verlassens der mütterlichen Fürsorge zurückerinnert werden.
Was diesen Film vollkommen besonders macht und in gewisser Weise einzigartig, ist die absolute Natürlichkeit. Wie schon eingehend erwähnt, ist die Handlung autobiografisch und hat sich somit wohl ziemlich genau so (vermutlich mit einigen zusätzlichen späteren Ausschmückungen) zugetragen und da die eine Protagonistin auch noch von sich selbst verkörpert wird, ist das Maß an realitätsnähe kaum noch zu übertreffen. Das hat zur Folge, dass der Zuschauer sich vollends mit den Figuren identifizieren kann und mit den Emotionen mitfühlt. Sowohl der Humor, als auch die dramatisch, traurigen Szenen lösen deutlich stärkere Gefühlsregungen aus, als vergleichbare Filme, die der Fiktion entspringen.
Generell müssen beide Darsteller der Protagonisten Rollen äußerst gelobt werden, denn die Figuren wurden mit viel Leidenschaft nahe an der Perfektion präsentiert, weshalb es umso trauriger ist, dass dieser Film wohl nur einen recht kleinen deutschen Start hat und daher viele Menschen nicht die Möglichkeit haben werden, ihn im Kino schauen zu können. Neben diesen hervorragenden Akteuren fällt es kaum auf, dass recht minimalistisch produziert wurde. Auf sehr aufwendige und fantastische Aufnahmen wurde größtenteils verzichtet, ebenso wie auf viel pompöse Musik. Dennoch gingen alle stilistischen und technischen Errungenschaften in einer sehr harmonischen Art und Weise in die Handlung mit ein und stützten sie genau an den richtigen Stellen, um niemals Langeweile aufkommen zu lassen.
Auch ungewöhnlich, aber hier bestens gelungen, ist die Vermeidung eines großen dramatischen Konflikts, auf den die gesamte Handlung zusteuert. Dies bringt wiederum eine enorme Natürlichkeit in die Geschichte, da das Leben einfach nicht nach einem bestmöglichen, dramatischen Handlungsverlauf spielt, sondern so kommt, wie es kommt.
Rundum betrachtet siedelt sich die Produktion deutlich im Arthouse-Sektor an, liefert jedoch eine wirklich tolle Handlung für jeder Mann. Hier bietet sich die Möglichkeit auch für den gestandenen Mann / die gestandene Frau ein paar Gefühle zu zeigen. Schnappt euch eure liebe Mutter und besucht diesen Film, denn es ist eine Ode an jede Mutter und ehrt die gemeinsame Zeit in einer Familie. Ich selbst bin der Meinung, dass dieser Film absolut sehenswert ist und werde ihn mir auch ein zweites Mal zu Gemüte führen!

Humor: 10/10Action: 0/10Erotik: 2/10
Niveau: 7/10Gefühl: 10/10Musik: 6/10
Spannung: 0/10Gewalt: 0/10Idee: 10/10

Gesamtbewertung: 10/10

Viel Spaß im Kino!


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