Filmkritik: Der Fall Collini (Kinostart: 18.04.19)

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Gesehen: 2D, deutsch, Kino

Strafverteidiger, Dramatiker und Schriftsteller. Vor gerade einmal zehn Jahren hat Ferdinand von Schirach seine ersten Kurzgeschichten veröffentlicht und mittlerweile ist er der erfolgreichste Schriftsteller Deutschlands mit zahllosen Veröffentlichungen in 40 Ländern und weltweiten Bestsellern. Der Erzählband „Verbrechen“ aus dem Jahr 2009 war ganze 61 Wochen auf der Bestsellerliste des Spiegels und erzielte eine Reichweite von 30 Ländern. In den Folgejahren baute er seine Karriere weiter aus und gelangte zu immer größerem Ruhm und Ansehen. Im Jahr 2011 erschien der Roman „Der Fall Collini“ und stieg sofort auf Platz zwei der Spiegel Bestsellerliste ein. Vom Focus als „Glücksfall für die deutsche Literatur“* bezeichnet, wurde das Werk mit Lobpreisungen überhäuft. Nur ein Jahr später wurde eine unabhängige Kommission gegründet, welche die NS-Vergangenheit aufarbeiten sollte mit einem Verweis auf diesen Roman. Ein weiteres Jahr später entstand ein Hörspiel, produziert durch den WDR und nun wird eine Verfilmung dieses Buchs ab dem 18.04. in den deutschen Kinos zu sehen sein. Ferdinand von Schirach schreibt stets an neuen juristischen Dramen und dies wird wohl nicht der letzte Film über eines seiner Werke sein.

Ein struwwelig, leicht ungepflegt wirkender Mann betritt ein Hotel mitten in Berlin. Langsam, aber mit festem Schritt, marschiert der alte Mann durch das Foyer. Am Ziel angekommen klopft er hart an die Tür. Als diese sich öffnet betritt er das Zimmer, zückt eine Waffe und trifft auf eine, in Erwartung eines Interviews und beim Anblick der Pistole, versteinerte Gestalt, die sich voller Angst auf den Boden kauert. Drei Schüsse fallen. Im nächsten Augenblick schlurft der Schütze Fabrizio Collini (Franco Nero) aus dem Fahrstuhl, nicht jedoch ohne bei jedem zweiten Schritt einen blutverschmierten Abdruck seines Schuhs zu hinterlassen. Wieder angekommen im Foyer sackt er mit einem starren Blick im Sofa zusammen. Augenblicklich eilt eine Hotelangestellte zu ihm und fragt ob er Hilfe benötige.
Einige Zeit später tritt der junge und unbedarfte Rechtsanwalt Caspar Leinen (Elyas M’Barek) ins Bild, der vom Gericht als Pflichtverteidiger für Herr Collini bestellt wird. Erst als er diese Verteidigung angenommen und eingewilligt hat Collini so gut wie möglich zu vertreten, erfährt Leinen, dass er der Mörder von Jean-Baptiste Hans Meyer (Manfred Zapatka), dem Großvater seines besten Jugendfreundes sowie seiner Jugendliebe, vertreten wird. Nachdem er erfolglos versucht diese Verteidigung wegen Befangenheit wieder abzugeben, warten im ersten Fall seiner Karriere einige Hürden auf ihn, die es zu meistern gilt. Dabei ist es nicht gerade hilfreich, dass Collini absolut keine Aussage über das Geschehen treffen möchte und sich schnell herausstellt, dass es hierbei um mehr als nur einen einfachen Mord geht.

Fesselnd, mitreißend und auf einem Niveau, welches deutsche Produktionen nur selten erreichen, präsentierte der Regisseur Marco Krenzpaintner die Verfilmung des gleichnamigen Buches. Von der ersten Sekunde an, schafft es der Film durch gezielten Einsatz von basslastigen Sounduntermalungen den Zuschauer in den Bann zu ziehen.
Selten hatte ich so viel zu sagen über einen Film wie jetzt, weshalb es mir schwer fällt zu entscheiden womit ich beginne.
Elyas M’Barek, bekannt aus unzähligen deutschen Komödien und seit einiger Zeit auf dem Karriereweg zu tiefsinnigeren Produktionen, spielt zu Beginn eine eher seichte Figur, die sofort den Anschein erweckt, dass es nur um sie ging und versucht wird eine Verschmelzung von seichter Unterhaltung mit anspruchsvoller Juristik zu vereinen. Schnell jedoch passt sich die Figur der Schwere der Thematik an und es wird eine hervorragende Brücke geschaffen, um M’Barek als Komödiant aus dem Gedächtnis zu streichen und nur noch ihn als engagierten und dennoch menschlichen Verteidiger zu betrachten. Im Laufe des Films kommt sogar der Eindruck auf, dass er sich richtig mit der Rolle identifizieren kann und diese regelrecht lebt. Während oftmals die Leichtigkeit in seinen filmischen Auftritten fehlt, scheint es hier, als wäre ihm bewusst geworden, dass er schauspielerische Fähigkeiten besitzt, die er selten zuvor gezeigt hat.
Doch meine Lobpreisungen gelten nicht nur M’Barek. Durchweg alle Schauspieler, von der kleinsten Nebenrolle bis zur größten Hauptrolle, haben eine außergewöhnlich starke Leistung gezeigt. Allen voran ist hier Franco Nero zu nennen, der die Figur des angeklagten Collinis in Bravour verkörpert. Nahezu die gesamte Laufzeit des Films spricht er kaum ein Wort, zeigt keine auffällige Gestik und rührt keinen Muskel im Gesicht. Eigentlich bestes Material für einen Auftritt á la Herr Schweiger, der dies ebenfalls in Perfektion beherrscht, jedoch schafft es Nero dabei mehr auszusagen als alle anderen Figuren des Films. Jede Sekunde in der er zu sehen ist, leidet der Zuschauer mehr mit ihm und die Gefühlswelt wird von purem Hass auf einen Mörder in Mitleid, Trauer, Mitgefühl und Demut verwandelt. Selten habe ich in einem deutschen Film eine solch aussagestarke Figur sehen dürfen.
Mit Rainer Bock und Heiner Lauterbach sitzen in der Anklage zwei absolute Größen des deutschen Films und Fernsehens. Herr Bock hat sich auch in internationalen Großproduktionen wie Inglorious Bastards, Wonder Woman, Unknown Identity und Better Call Saul einen Namen gemacht und ausnahmslos jeder Film, in dem er eine Rolle spielte, stellt einen Erfolg dar.
Die Handlung baut sich viel durch die Berichterstattung und Beweisvorlage in den Gerichtsverhandlungen auf und spielt somit auch überwiegend im Gerichtssaal. Abgesehen davon wird aber auch mit viel Bildsprache gearbeitet, wodurch jegliche Eindrücke noch deutlich verstärkt werden. Der Inhalt wird durch den gezielten Einsatz von Bild und Ton in mehrere Akte eingeteilt. Ein jeder Akt beginnt mit einer kurzen Sequenz eines schwarzen Bildes gefolgt von einem starken Bassschlag und kündigt einen neuen Tag vor Gericht an. Berlin und mehrere Orte Italiens lieferten die Drehorte für den Film und dadurch wurde es möglich gemacht sich sowohl in die Zeit, als auch in die Handlung besser hinein zu versetzen.
Es gibt insgesamt drei Zeitebenen, in die immer wieder in Erscheinung treten. Rückblicke in die NS-Zeit werden harmonisch mit Rückblicken in die 70er/80er Jahre sowie der Gegenwart verwoben. Zum Teil ergeben sich hier einige unschlüssige Szenen, da manche zeitlichen Abfolgen unlogisch scheinen, aber nicht unmöglich sind. Diese drei Zeitebenen sind durch eine sehr gute Kameraarbeit sowie einen eben so guten Schnitt miteinander verbunden worden. Im Gegensatz zur normalen schnellen Erzählweise in deutschen Filmen, die geprägt sind von kurzen Einstellungen, viel Text und möglichst viel Handlung, geht es in dieser Gerichtsverhandlung eher ruhig zu und für jede Einstellung wurde sich ausreichend Zeit genommen, ohne dabei jedoch langatmig und langweilig zu werden.
Diverse Wendungen sorgten dafür, dass die aufgebaute Spannung stets auf einem hohen Level gehalten wurde. Diese hält sich exakt wie in den amerikanischen Pendants von John Grisham (Die Jury, Die Firma, Der Regenmacher). Teilweise wirkte jedoch der Aufbau der Handlung und die Art der Präsentation auch sehr geklaut von eben jenen Produktionen. Dies bot Anlass zu überlegen, ob „Der Fall Collini“ nicht einfach nur eine deutsche Kopie jener Filme ist. Ich persönlich empfinde jedoch dies nicht dramatisch, da es noch genug Unterschiede gibt und dies durchaus ein akzeptables Mittel ist, solange dies nicht zur Gewohnheit für zukünftige Produktionen wird.
Etwas skeptisch wurde ich bei der Requisite, denn M’Barek ist noch mit einem altmodischen Klapphandy ausgestattet wurden. Als ich jedoch merkte, dass die Handlung im Jahr 2001 spielt, gewann eben jener Aspekt an Bedeutung, da offenbar auch auf Details Acht gegeben wurde.
Gestört hat mich etwas, dass der Protagonist in so ziemlich jeder Szene in den Fokus der Handlung gestellt wird, obwohl die Geschichte sich ja eigentlich eher um den Angeklagten und seinen Fall drehen sollte. Im gleichen Zug schien es, als verliere man immer wieder den Fall aus den Augen und somit wurde manchmal die Story mit wechselnden Fokuspunkten erzählt.

Zu guter Letzt muss ich noch ein Wort zum Ende sagen, denn hier haben sich Schriftsteller und Regisseur wirklich mal etwas getraut und sich Mühe gegeben nicht das klassische „Friede-Freude-Eierkuchen“-Ende zu gestalten. Somit kann ich sagen, dass mir von der ersten, bis zur letzten Szene ein durchweg ausgereifter Film präsentiert wurde, von denen ich sehr gerne mehr in Deutschland sehen möchte. Für M’Barek dürfte es einen starken Aufschwung in seiner Karriere bedeuten, wenn er sich in dem Genre Juristik-Drama festsetzen sollte.

Von mir gibt es hier ein absolutes „must see“ und das bekannte Prädikat: Besonders wertvoll!

Humor: 2/10Action: 3/10Erotik: 1/10
Niveau: 9/10Gefühl: 6/10Musik: 9/10
Spannung: 10/10Gewalt: 3/10Idee: 10/10

Gesamtbewertung: 9/10

Viel Spaß im Kino!

Alles was ihr zur Weltpremiere im Zoopalast Berlin zu dem Film wissen wollt, erfahrt ihr hier:

*Focus 36/2011, Seite 38

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