Filmkritik: Es gilt das gesprochen Wort (Kinostart: 01.08.19)

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Gesehen: 2D, deutsch, Kino

In Deutschland längst zur Normalität geworden und dennoch schreckliche Realität sind die tausenden Flüchtlinge und Immigranten, die jährlich aus ihrer Heimat den Weg nach Mitteleuropa antreten. Nicht selten werden diese jedoch auch wieder in ihre Heimat zurückgeschickt mit Begründungen wie der Herkunft aus einem sogenannten „sicheren Herkunftsland“.
Der Studenten-Oscar-Preisträger Ilker Ҫatak hat sich dieser Thematik ansatzweise angenommen und in knapp zehn Jahren diesen dramatischen Hintergrund in eine Romanze verpackt und mit Anne Ratte-Polle und Oğulcan Arman Uslu zwei sehr unterschiedliche Charaktere für diesen Film gewonnen. Schon wegen der unterschiedlichen Herkunft beider Darsteller und der Unkenntnis einer gemeinsamen Sprache, war Ҫatak gezwungen viel Mühe in den Erfolg des Films zu stecken, da jegliche Verständigung nur mittels Übersetzung möglich war.
Doch hat Ҫatak seine Fähigkeiten bereits bestens bewiesen mit Filmen wie „Wo wir sind“ und „Sodaht“, die Nominierungen und Auszeichnungen vom Max-Ophüls-Preis und dem Studenten-Oscar erhielten.
Doch was will die Produktion uns mit diesem Werk erzählen, worum geht es eigentlich?

Um Vertrauen und Fremdheit, um Sprache und Vorurteile. Und um gläserne Wände und Decken, die ein Ankommen in anderen Schichten und Kulturen erschweren, wenn nicht unmöglich machen. Und darum, dass man im Leben etwas riskieren muss und dass es sich lohnt, für andere da zu sein.

Ingo Fliess (Produzent)

Marions Reis ins Unbekannte

Der Teil meines Lebens, den du ausgefüllt hast, ist am leichtesten zu ersetzen.

Am Strand von Marmari genießt die Pilotin Marion (Anna Ratte-Polle) zusammen mit ihrer Affäre Raphael (Godehard Giese) ihre Unabhängigkeit und lebt den Moment ganz so wie sie es will. Gleichzeitig lebt dort auch der junge Baran (Oğulcan Arman Uslu), der von eben jener Freiheit träumt und diese jenseits von seiner Heimat finden möchte. Doch um dort weg zu kommen benötigt er mehr als nur einen eisernen Willen. Als die Beiden sich zufällig begegnen, lässt der Aufreißer, der auf allen nur möglichen Arten versucht an ausreichend Geld zu gelangen, auch durch Prostitution, seinen ganzen Charme spielen und nach mehrmaligem willkürlichen Aufeinandertreffen bittet er die völlig unbekannte Frau ihm zu helfen und ihn mit in ihre Heimat zu nehmen.
Nach einigem Widerstand gegen einen Charme lässt sie sich doch auf dieses Wagnis ein, doch nur unter strengen Bedingungen, um selbst nicht in Probleme zu geraten. Damit Barans Aufenthalt in Deutschland legal und von Dauer ist, heiraten die Beiden. Nun ist alles ganz einfach. Sie müssen nur insgesamt drei Jahre verheiratet bleiben, Baran muss die deutsche Sprache erlernen und sich den deutschen Tugenden und Sitten beugen. Danach wollen sie sich wieder scheiden lassen und jeder geht seinen Weg. Doch ist das nach so einer langen gemeinsamen Zeit noch möglich? Nicht immer funktioniert alles wie geplant.

Drei Jahre – Eine Liebe

Schon wieder greift ein Film die Stücklung der Handlung in einzelne Akte auf und schafft damit eine deutlich interessantere Art des Erzählens, als es eine simple Themenabhandlung geschafft hätte.

Der Film erzählt eine Zeitspanne von etwa drei Jahren. Wir wollten Einblendungen wie „Zwei Jahre zuvor“ oder „Sechs Monate später“ vermeiden. Unser Editor Sascha Gerlach hatte daraufhin die Idee, den Film in Kapitel einzuteilen, wie man sie auch in Sprachkursen hat: Präteritum, Präsens, Futur I.

Ilker Ҫatak (Regisseur)

Mit dieser geschickten Aufteilung wurde tatsächlich ein besseres Zeitgefühl erreicht, als es übliche Zeitangaben sonst vermögen und gleichzeitig konnte stets die Sprachentwicklung des Protagonisten daran gemessen werden, denn korrekt waren die einzelnen Aktüberschriften:
(1) Kapitel 1: Präteritum        ich war
(2) Kapitel 2: Präsens            du bist
(3) Kapitel 3: Futur I              wir werden sein
Das „gesprochene Wort“ zieht sich durch den gesamten Film, ohne dass dabei das Hauptaugenmerk auf diesen liegt sondern die Romanze der Protagonisten stets im Fokus liegt.
In Deutsch, Englisch und (vermutlich) Türkisch sind die Dialoge angelegt und bringen somit die natürliche Vielfalt in die Geschichte und erzeugt auch beim Zuschauer die problematische Sprachbarriere, die ein zentrales Problem in der gesamten Handlung darstellt.
Schon früh in der Geschichte wird der Grundtenor klar, denn mit viel nackter Haut und Sex werden beide Hauptfiguren auf recht unterschiedliche subtile Art und Weise charakterisiert. Für den Einen ist Sex eine Art Lebensgrundlage, die helfen soll, seine Lebensziele zu erreichen, für die Andere ist es ein Zeichen von Freiheit und Selbstbestimmung, wo sie sich nimmt, was sie braucht.
Leider jedoch ist schon aus den ersten Szenen die gesamte Geschichte ungefähr herauslesbar, weshalb jegliche Spannung von Beginn an flöten geht oder sogar niemals vorhanden war. Während die Erotik und Romantik immer mehr Einzug in die Handlung nimmt, folgt dem auch die Langeweile, denn wirkliche Aufreger und dramatische Spitzen sind kaum zu finden. Immer wieder wird ein wenig Humor eingestreut, doch sind mehrere Bemerkungen eher flach und erzielen nicht den gewünschten Effekt.
Die beiden Hauptdarsteller harmonieren ganz gut miteinander und wurden sorgfältig ausgewählt, haben jedoch nicht den ganz großen Hit gelandet aufgrund des etwas schwächelnden Drehbuchs. Einzig die Nebenfigur des Chefs des Flughafen Personals (Jörg Schüttauf) tritt mit einer wirklich hervorragenden Leistung auf, die recht bemerkenswert ist. Seltsamerweise schafft das dritte Kapitel alles, was in den Vorherigen fehlte. Plötzlich ist ein wirklich guter Plot zu finden, unterstützt von einem stärkeren Erzähltempo, deutlich besseren Humor und mehr Dramatik gefolgt von einem spitzenmäßigen Ende, wie ich sie mir häufiger in Filmen wünschen würde. Es scheint als hätte zum Ende hin die Produktion deutlich mehr Mut gefunden.
In der Grundidee hervorragend, vor allem mit der Umkehrung der klischeehaften Geschlechterrollen, wird somit aus dem Gesamtwerk doch nur ein mittelmäßiger Film, den man mal gesehen haben kann, aber absolut nicht muss.

Humor: 1/10Action: 0/10Erotik: 4/10
Niveau: 5/10Gefühl: 5/10Musik: 3/10
Spannung: 1/10Gewalt: 0/10Idee: 6/10

Gesamtbewertung: 6/10

Viel Spaß im Kino!

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